Wer sich nicht mit Selfies, gesellschaftlichen und politischen Themen in seiner Kunst beschäftigt, sondern mit den Medien der Kunst und den anhaftenden Begriffen, – auch Grundsätzlichem, begibt sich auf eine Reise die aus den Kunstlandschaften hinaus führt.
Format
Als Student der Bildhauerei begann ich mit Formatuntersuchungen, dem Verhältnis von Länge zu Breite. Eine Betrachtung, die ich in der Fläche begann, was mich nicht besonders weit brachte bei meinen Bemühungen ein gutes Verständnis für Maß und Harmonie zu erlangen. Es führte mich in die Welt der Zahlen und die Welt der Geometrie. La Stoichea (Die Elemente), das fünfbändige Werk von Euklid gab Aufschluss über Strukturbildung im Raum und konstruierte aus einem Punkt, die Linie, Fläche und Raum.
Ich war sehr glücklich, als ich das antike Werk entdeckte. In der Vorzeit ohne Internet und Computer war es üblich in der Bibliothek zu lesen und zu forschen um etwas heraus zu finden. Der etwa 2300 Jahre alte Text entsprach in meiner Vorstellung dem Urtext zu Kandinskys Punkt und Linie zur Fläche, das ich bereits kannte und war somit meine Basis bei der Herleitung der Begriffe, die ich als Neuling in der Kunst für wichtig erachtete. Weder im Akademiefundus noch im Handel verfügbar. Erst in der akademischen Verlagsgesellschaft Leipzig wurde ich mit einer Ausgabe von 1933 fündig und konnte das Werk bestellen. Ja, hört sich nicht nach Lehrplan an und hat mich auch nicht zur Kunst hingeführt, sondern in wissenschaftliche Bereiche, wie die Neurologie und Psychologie, wobei ich hoffte mehr über die Mechanismen der Wahrnehmung zu erfahren. Denn, und auch das war da bereits klar, zur Wahrnehmung gehört das Wahrgenommene und der Wahrnehmende. Also ging es auch ein wenig um Selbsterforschung, wie immer, wenn sich ein Thema vor einem Menschen aufrichtet.
Kinetik – Statik
Bewegung ist das Thema, das zu einer Reihe von sogenannten »Stabiles« führte. Die stehlenartigen in unterschiedlichen Raumachsen beweglichen Stahlskulpturen kommen bei Impulsen in raumgreifende Bewegung und schwingen gleich einem stehenden Pendel bis zur Ruheposition einer Stehle. Das größte der Stabile ist 460 cm hoch, kleinere Manifestationen etwa 160 cm. Die Entwicklung der Methode um das Artefakt in ein stabiles Gleichgewicht zu bringen ging von empirischer Vorgehensweise bis zur Berechnung der Gleichgewichtssituation um einen Zusammenhang zwischen Maß und Masse zu visualisieren. Die Realisierung einer schwebenden Säule ist bis zum heutigen Tag unversucht. Wohl wegen des fehlenden Ingenieurswissen und der Bedenken für eine Tauglichkeit des Artefakt für den öffentlichen Raum.
Equilibristik
Die Beschäftigung mit der Kinetik mündet in Balanceobjekten. Eine Vielzahl von Beobachtungen, die an diesen Objekten möglich wurden, führten zu Erkenntnissen die bereits bei den Formatuntersuchungen sichtbar wurden und die Statik von Körpern anschaulich darstellt.
Stehle
Die Stehle ist eine großartige formale Erscheinung,- geeignet zu tragen, trägt sie doch offensichtlich Nichts außer sich selbst und den geistigen Raum den sie in Schwingung versetzten kann. Schlank wie sie ist, besetzt sie nur kleinsten Raum, vermag aber wegen ihrer überragenden Höhe große Räume zu erfüllen. Selbst mit kleinerem Materialaufwand können so Platzgestaltungen im öffentlichen Raum und grosse Interieurs bespielt werden. Ich habe Stehlen aus allen klassischen Bildhauermaterialien gefertigt. Auch die Nähe zum Thema der Figur bringt eine Vielzahl von Motiven in das Genre.
Form
Nicht nach dem Abbild der Natur geformt, sondern so, wie die Natur es auch macht. Aus einer Bewegung heraus, zufällig. Spielerisch, einfach in Form geraten. Viele offene Fragen bleiben. Geht Form ohne Funktion. Welche Form ist schön? Ist Form das gleiche wie Sinn? Jedem Material seine Form? Die Arbeit mit Stein warf dieses Thema immer wieder auf, Formfindung als intuitiver Prozess. Sich vom Stein »leiten« lassen. Auch in der Zeichnung tritt das Phänomen auf. Die Zeichnung will gezeichnet werden und zieht tatsächlich in den Prozess des Zeichnens hinein.
Singularität
Am Ende steht ein Punkt; auch im gängigen Erklärmodell über den Anfang des Raumes und der Zeit. Ebenso im Titel von Kandinskys Buch »Punkt und Linie zur Fläche«. Nun bin ich schon mehrfach an dem Punkt angekommen, beim Bildhauen, beim Zeichnen und mehrfach in der Malerei. Es scheint auch logisch zu sein, nur noch einen Punkt zu machen, wenn man die Entwicklung der bildenden Kunst bis in die Gegenwart kennt. Es ist die Negation aller zugedachten und neuerdings lauter werdender Forderungen an Kunstschaffende nach Funktionalisierung. Nun, wer mit seiner Kunst nicht nach Außen wirken muß, – nicht gefallen muß, der wird in seinen Gedanken und seiner Intention frei für die Sache ansicht. Frei für die Unumkehrbarkeit des Tuns, frei für Wahrnehmung von Form und Farbe, frei für die Einvernehmung der Gegenwart durch Kunst.
Kumulation
In steter Wiederholung verdichtet, überlagert. In Zeichnungen und auch beim Modellieren so zu einer Form finden. Gleich einer Anlagerung von Kalk am Wasserkocher. Eine Methode die Eigendynamik entwickelt. Zum Begriff der Kumulation gehört die Transparenz und die Überlagerung. Es sind die unentbehrlichen Methoden, sobald mehrere Ebenen des Visuellen und der Bedeutungen im Spiel sind, gleichermaßen in digitalen Bildprogrammen, wie in der analogen Malerei.
Die Bewusstwerdung des Arbeitsprozess, durch die zeitliche Ausdehnung und vereinfachung der Schritte, führt zu einer Situation, die mit einer Aufzeichnung vergleichbar ist. Das Artefakt könnte also wie ein Seismogramm der Intention und des Tun gesehen werden. Schön ist, wenn diese Auffassung nicht durch ein zu dominantes Motiv konterkariert wird.
Synthesen
Aluminiumgrieß und Eisenoxidpulver reagiert sehr stark miteinander, eine Reduktion. Produkt ist elementares Eisen in glühend-flüssigem Zustand. Glycerin und Gelatine mit etwas Isopropanol ergibt ein gießbares transparentes, weiches aber dennoch ausreichend festes Material um kleinere Güsse zu fertigen. Eine Form, die mit Zement und Wasser gegossen wird, erhitzt so stark das sie zerspringt. Es gibt auch Synthesen die gut funktionieren. Beton und Glas, Gips und Zement (entgegen aller fachlicher Ratschläge). Kalk und Gips ergibt wunderbare Oberflächen, wie Marmor. Verbindet man die Werkstoffe in einer anderen Dimension, also z. B. handgroße Stücke, dann reagieren die Begriffe miteinander. Stein und Stahl, amorph und kubisch. Einfach aneinander montiert oder in gegenseitiger Durchdringung. Griffige Tautologien wie »Herzpumpe« gehören zu dieser Werkgruppe (Abbildung: Virtueller Raum, 1999)
Bilokation
Aus der Beschäftigung mit sich durchdringenden Räumen entsteht die Werkgruppe der Bilokationen, die ich als bildhauerisches Thema mehrfach bearbeitete. Inspiriert durch die »Bilokation der Columba Schonath« aus Scheßlitz, die zeitgleich auf dem Feld und in der Kirche gesehen wurde, fertigte ich eine Holzskulptur mit sich gegenseitig durchdringenden Formen.
Übergang
In der Art und Weise wie ein Übergang gestaltet ist, kann sich im Detail das Ganze zeigen. Von schwarz nach weiß, von hart nach weich, von Farbe zu Farbe, von deckend zur translucent. Im Übergang von Einen zum Andern zeigt sich die Qualität der Stoffe und der Ideen. Die Methoden Übergänge zu gestalten, – diese mit einer Qualität zu versehen, geht über das Stellrad der Dimension. Mache die Eingriffe ein wenig unter dem Radar, von dem was ohne Hilfsmittel sichtbar oder sinnlich wahrnehmbar ist.
Absense
Die großartigsten Artefakte sind die, die nicht gemacht werden. Es ist gut der Verklockung zu Widerstehen etwas zu variieren, durch Dimension zu beeindrucken, z. B. für riesige Wände in Museen, oder in die Produktion von Stückzahlen zu gehen. Das ist Verschwendung und sortiert die Kunstarbeit ins Regal des Kunstkaufhauses ein; wie auch immer, wenn es keinen Grund gibt, oder keine Aussicht etwas an Erkenntnis aus der Kunstarbeit zu ziehen, dann kann es besser sein, es nicht zu tun.